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Aprilkälte
"Und das soll dieser Klimawandel sein?"
Das Wetter als Politikum: Wer in jedem warmen Tag einen Beleg für die Klimakrise sieht, muss leider damit leben, dass an kalten Tagen die Leugner aus ihren Löchern kommen. Was kann man dann erwidern?
Tim Wegner
22.04.2024

Frieren Sie dieser Tage auch so? Mussten Sie Winterjacke und Handschuhe aus dem Schrank holen? Sogar im notorisch milden Frankfurt am Main waren am Sonntag und am Montag ein paar Schneeflocken zu sehen. 

Am Samstag graupelte es. Der Bürgersteig war weiß. Für Obstbauern kann der nächtliche Frost schlimme Folgen haben, denn viele Bäume standen in der Blüte, als der Frost kam.

"Und das soll dieser Klimawandel sein?" 

Diese Frage hört man gerade häufiger. Übers Wetter reden die Menschen ohnehin gern. Und wenn es Mitte, Ende April draußen so lausig kalt ist, kann uns ein Gedanke erleichtern: Vielleicht ist, vielleicht wird es doch nicht alles so schlimm? Es ist normal, dass wir solche psychologischen Rettungsanker in unseren Köpfen suchen. Sie gehören zur Gattung der „Drachen der Untätigkeit“, über die ich hier schon berichtet habe. 

Vor zwei Wochen waren die Medien voll mit Beiträgen, dass das extrem warme Wochenende Anfang April mit Temperaturen teils an die 30 Grad ein sicherer Bote der Klimakrise sei. Ich bin unsicher, ob es hilft, das tagesaktuelle Wetter immer als Beleg für die menschgemachte Erderwärmung zu nehmen. Denn so wird das Wetter zum Politikum. Und wer es an krass heißen Tagen als Indiz für den Klimwandel heranzieht, muss damit leben, dass an krass kalten Tagen das Gegenteil geschieht – und die Klimakrise verharmlost wird. 

Zur Einordnung: Im April, wenn die Sonne über der Nordhalbkugel höher und höher steigt, sind die Temperaturgegensätze noch groß. In Äquatornähe ist es warm, Nahe der Arktis ist es kühl. Heftige Gegensätze sind die Folge, mal setzt sich die eine, dann wieder die andere Strömung durch - und dann "macht der April, was er will". Seit voriger Woche dominiert eine nördliche Strömung, die ein Hoch über dem Atlantik zu uns führt. Das ist: Wetter. 

Klima aber ist Wetter über Zeit. Es macht Sinn, Jahre miteinander zu vergleichen. Oder noch besser: Jahrzehnte. Und dann ist der Trend so eindeutig wie bedrückend: Es wird immer wärmer. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Nur weil wir uns im April ärgern, zum Sonntagsspaziergang die Wollmütze aufsetzen zu müssen, heißt das nicht, dass in anderen Gegenden der Welt eindeutige Boten der Krise ausblieben; aktuelle Stichworte sind Überschwemmungen in den Golfstaaten oder China. Was von solchen extremen Wetterereignissen der Klimakrise zuzuordnen ist, vermag die Attributionsforschung mittlerweile fast in Echtzeit zu sagen. Mit Hilfe solcher Zuordnungsstudien sind Aussagen möglich, ob ein Extremwetterereignis nur mit oder auch ohne die Erderwärmung zu erklären ist.

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Kürzlich wurde übrigens vermeldet: Zunehmend mehr Menschen in Europa sterben am Hitzetod. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Todesfälle aufgrund von Hitze um rund 30 Prozent gestiegen, das zeigt ein gemeinsamer Bericht zum "Zustand des europäischen Klimas 2023" des EU-Klimadienstes Copernicus und der Weltorganisation für Meteorologie. 

Und das ist kein Wetter - das ist leider eine Katastrophe. 

 

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